„Stress“ ist oft eine Mit-Ursache von Hundeverhalten, das für uns problematisch ist. Er hindert unseren Hund daran, Erwünschtes zu lernen oder auszuführen – ab einem gewissen Stresspegel ist der Hund nicht „ungehorsam“, er KANN gerade einfach nicht anders. Das hat schlicht biologische Gründe, denn Stress blockiert bestimmte Gehirnareale und löst eine Kaskade hormoneller Reaktionen aus.
Umgang mit Stress
Natürlich gehört ein gesundes Maß an Stress zum Leben! Er wird erst dann schädlich, wenn man den Auslöser – die Herausforderung – nicht bewältigen kann. Also: Stress ist, wenn’s zu viel ist!
Jeder kennt das von sich selbst: Nach einem stressigen Tag schnauzen wir zu Hause jemanden an, der uns überhaupt nichts getan hat! Nur können wir Menschen uns das bewusst machen, tief durchatmen, bis zehn zählen … Ein Hund hat diese Möglichkeiten nicht. Er ist darauf angewiesen, dass wir seinen Stress bemerken und ihm helfen, die Situation zu bewältigen oder notfalls auch zu verlassen. Denn lernen wird er jetzt sowieso nichts mehr – jedenfalls nichts Wünschenswertes!
Was kann Stress verursachen?
Werden Grundbedürfnisse nicht erfüllt, gerät jedes Lebewesen in Stress. Ein Hund braucht genug Wasser, gute Nahrung, Kontakt zu Sozialpartnern, Schlaf und Bewegung. Von alledem trifft man bei unseren modernen Hunden am ehesten einen Mangel an tiefem Schlaf und entspannter Ruhe an!
Krankheiten und Schmerzen sind starke Stressoren. Lassen Sie vor allem die Zähne Ihres Hundes regelmäßig vom Tierarzt kontrollieren. Hitze, Kälte und Lärm können Hunde ebenso unter Stress setzen wie zu viele neue Eindrücke (Reizüberflutung).
Wir selbst können unseren Hunden Stress bereiten durch Über- oder Unterforderung, Frustration, Langeweile, mangelnde Stimulation, ängstigende Strafen und Unberechenbarkeit. Auch Stress oder Angst ihrer Bezugspersonen sowie Spannungen innerhalb der Familie nehmen viele Hunde sehr mit. Isolation (zu häufig / zu lange allein bleiben müssen!) und Ängste lösen natürlich ebenfalls starken Stress aus.
Woran erkenne ich, dass mein Hund gestresst ist?
Turid Rugaas` „Calming Signals“ sind inzwischen fast jedem Hundehalter ein Begriff. Sie sind tatsächlich auch Stress-Signale, denn wenn der Hund (von der Situation, dem Gegenüber) nicht zumindest ein wenig gestresst ist, zeigt er auch keine „Beruhigungs“- oder Konflikt-Signale wie: Blinzeln, Blick / Kopf abwenden, Züngeln / sich über die Schnauze lecken, Ohren anlegen, Pfote anheben, Gähnen, sich ducken, Hecheln etc.
Oft äußert sich Stress auch in ganz normalem Verhalten, das aber „übermäßig“ oder der Situation nicht angemessen gezeigt wird. Das wird uns Menschen dann schnell zu viel. Man könnte hier auch von „Übersprungverhalten“ sprechen, das auf Stress hinweist: Bellen, Aufreiten, hektisches Schnüffeln und Markieren, Schütteln, Kratzen oder Wälzen, Grasfressen … Manche Hunde haaren oder schuppen stark, wenn sie Stress bekommen. Oft sieht man mehr Weiß in den Augen als sonst, dem Hund sträuben sich die Haare („Bürste“) oder die Tasthaare sind nach vorne aufgestellt. Welche Stress-Anzeichen haben Sie bei Ihrem Hund schon bemerkt?
Beobachten lernen
Stresshecheln beispielsweise kann man von „normalem“ Hecheln anhand von Kleinigkeiten unterscheiden. Beim entspannten Hecheln (weil dem Hund einfach warm ist) ist die Zunge schlaff, sie hängt locker und meist flach aus dem Fang. Beim Stresshecheln ist die Zunge seitlich angespannt und nimmt deshalb eine Löffelform an. Beim normalen Hecheln ist die Maulspalte (die „Mundwinkel“) nach hinten geweitet, weil der Fang weit offen ist. Beim Stresshecheln wirken die Lefzen wie nach hinten verzerrt, es bilden sich Falten hinter der Maulspalte. Oft sind die Augen geweitet, der Hund hat eine Falte auf der Stirn, die Ohren sind nach hinten angelegt oder der Ohrenansatz wirkt „knotig“ etc.
Achten Sie einmal darauf, wie Ihr Hund aussieht, wenn er ganz entspannt schnüffelt – und wie, wenn er Ihrer Ansicht nach Stress haben könnte. Wie ist seine Körperspannung? Sind seine Bewegungen weich oder eher steif und insgesamt hektisch? Besonders spannend ist es, solche Squenzen einmal zu filmen und sich dann in Zeitlupe anzusehen. Immer wieder erstaunlich, was man während der Situation mit bloßem Auge alles nicht mitbekommen hat! Diese Form der Beobachtung von entspannten und potenziell stressigen Sequenzen, ganz in Ruhe zu Hause, ist eine tolle Übung, die den Blick insgesamt schärft.
Wir können und sollten nicht jeden Stress für unseren Hund vermeiden. Aber wir müssen lernen zu erkennen, wann es ihm zu viel wird, und ihn dann unterstützen. Denn Stress verschlimmert nicht nur „unerwünschtes“ Verhalten, er kann Hunde genauso krank machen wie uns Menschen!
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